Die Pförtner Erziehung. Ihre Eigenart und ihre Entwicklung in den letzten Jahrzehnten
Landesschule Pforta 1931
von Joachim Böhme
Die Grundlagen der Pförtner Erziehung
I. Pforte als evangelische Schule
II. Pforte als humanistisches Gymnasium
III. Pforte als Internatsanstalt
1) Überblick über die Einrichtungen
2) Die Erziehungsgrundsätze nach dem Zustande von 1916 – 1922
a. Ordnung
b. Selbsterziehung
c. Einheit von Erziehung und Unterricht
d. Abgeschlossenheit
3) Der heutige Zustand
a. Innere Gründe für die Wandlung
b. Die Veränderungen:
in der Lebensordnung,
in der Selbsterziehung und
das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern
Milderung der Abgeschlossenheit
Die Pförtner Erziehung
Dienstag, 25. Mai 2010
Die Aufgabe
Der Gegenstand dieser Arbeit hatte mich schon viel beschäftigt, als ich auf Anregung von Herrn Rektor Kranz mich nach anfänglichem Zögern entschloss, ihn zum Thema meiner Assessorarbeit zu wählen. Als ich zu Beginn meines 2. Referendarjahres zur Ausbildung und zur Vertretung eines Studienrates nach Schulpforte an meine frühere Schule überwiesen wurde, war es natürlich, dass neben den konkreten Unterrichtsaufgaben, die fast meine ganze Kraft beanspruchten, die Probleme, der eigentümlichen Pförtner Erziehung mich immer wieder zum Nachdenken reizten. Umso mehr als es für mein ganzes Leben von entscheidender Bedeutung geworden ist. Denn als ich in Pforte Inspektor war, da erwachte in mir, unter dem Einfluss dieses Amtes, der Wunsch, mein Leben dem Erzieherberuf zu widmen. Ich fand manches in Pforte verändert. Gerade das trieb zum Vergleich des Neuen mit dem Alten und darüber hinaus zu grundsätzlicher Besinnung über den Wert der Pförtner Erziehung und ihre Grenzen.
Aus Erzählungen meines Vaters (al. port. 1882 - 1888) und meines Bruders al. port. 1912-1917) weiß ich genug über die Pförtner Verhältnisse gegen Ende des 19. und vor dem Weltkriege. So sind die äusseren Voraussetzungen für die Lösung der Aufgabe gegeben. Trotzdem habe ich lange geschwankt, ob ich sie wählen sollte. Denn ich scheute mich, wie auch Wilamowitz von sich bekennt, über die Pforte, an die ich noch heute nicht anders als in Dankbarkeit und Pietät denken kann, ein Urteil abzugeben. Ich habe diese Zweifel schliesslich beiseitegeschoben in dem Gedanken, dass Dankbarkeit sich nicht besser beweisen kann, als in dem Willen aktiv daran mitzuarbeiten, dass die Pforte auch der heutigen Jugend eine alma mater bleibt, wie sie es uns wurde. Ich bin mir bewusst, dass es mir noch nicht gelungen ist, - diese Arbeit weist manche Spuren davon auf -, diese beiden Einstellungen der Pietät gegenüber der Vergangenheit und der prüfenden Kritik, die an Gegenwart und Zukunft denkt, miteinander in Einklang zu bringen.
Das kann nur allmählich in ruhiger Entwickelung geschehen. So trägt die Arbeit einen ganz persönlichen Charakter. Von da aus glaube ich es rechtfertigen zu können, dass ich die Pforte nur für sieh betrachte und ihre Einrichtungen bis ins einzelne verfolge, dabei aber auf den naheliegenden Vergleich mit anderen Schulen und Alumnaten und auf theoretische Begründung grösstenteils verzichte. - Die Eigenart der Pforte kann nur aus ihrer Geschichte verstanden werden. Deshalb kann eine Arbeit, die die Pförtner Erziehung in ihrer Besonderheit zu erfassen sucht, die Geschichte der Schule nicht ausseracht lassen. Ich muss also im Folgenden verschiedentlich auf die älteren Verhältnisse zurückgreifen.
In der Stiftungsurkunde von 1550 wird der neuen Schule von ihrem Gründer, Herzog Moritz von Sachsen. die Aufgabe gestellt, die Jugend „in rechter reiner christlicher Lehre und Religion und in den Sprachen und anderen freyen guten Künsten“ zu unterweisen, damit „in Gott gelehrte tugendhafte Männer, Kirchendiener und geschickte Regenten der Polizeyen" aufgezogen würden (Corssen S. 128). Es ist lehrreich, die neueste Formulierung des Bildungszieles, vom jetzigen Rektor verfasst, daneben zu stellen: „die Landesschule zur Pforte ist ein humanistisches Gymnasium besonderer Prägung ... ( Die Landesschule zur Pforte) trägt einen bewusst evangelischen Charakter." Beide Aeusserungen stimmen im Entscheidenden überein: die Grundlage der Pförtner Erziehung bilden evangelisches Christentum und Antike ("Sprachen" bezw "Humanismus"). Danach können wir einstweilen allgemein die Eigenart der Pforte so beschreiben:
Pforte ist evangelische Schule
Pforte ist humanistische Schule; und wir fügen gleich hinzu
Pforte ist Internatsanstalt.
Dass mit der doppelten Zielsetzung einer christlichen und einer humanistischen. Erziehung die Pförtner Erziehung unter eine grosse Spannung gestellt ist, eine Spannung, die besonders in den Zeiten fühlbar werden musste, wo die Antike als weltanschauliche Macht erkannt und zum Christentum in Gegensatz gestellt wurde - also in der Zeit Humanismus selbst, dann des Neuhumanismus und in der Gegenwart wo der Gedanke der humanistischen, auf die Antike gegründeten Erziehung zu neuem Leben erwacht ist und wo das Problem Idealismus und Christentum von beiden Lagern, dem idealistisch-humanistischen und dem christlich-theolologischen in seiner Tiefe erkannt und umkämpft wird, (sieh Anmerkung!) nur angedeutet werden.
Ist es doch eine Frage, die jedes Gymnasium, jede Schule angeht, wenn auch dieser Konflikt in der Pforte mehr als anderswo zutage tritt.
Anmerkung:
Das letzte Heft der Zeitschrift für Deutschkunde (1931 Heft 4) ist dieser Frage fast ausschliesslich gewidmet. Dort werden die wichtigsten Bücher zusammengestellt und gewürdigt. Der Gegensatz von Antike und Christentum ist von Seiten der Altertumswissenschaft, besonders von W.F. Otto, offen ausgesprochen worden: Die altgriechische Gottesidee, Weidmann, Bln., Die Antike und der christliche Geist, Cohen, Bonn., Die Götter Driechenlands, de Gruyter.
Aus Erzählungen meines Vaters (al. port. 1882 - 1888) und meines Bruders al. port. 1912-1917) weiß ich genug über die Pförtner Verhältnisse gegen Ende des 19. und vor dem Weltkriege. So sind die äusseren Voraussetzungen für die Lösung der Aufgabe gegeben. Trotzdem habe ich lange geschwankt, ob ich sie wählen sollte. Denn ich scheute mich, wie auch Wilamowitz von sich bekennt, über die Pforte, an die ich noch heute nicht anders als in Dankbarkeit und Pietät denken kann, ein Urteil abzugeben. Ich habe diese Zweifel schliesslich beiseitegeschoben in dem Gedanken, dass Dankbarkeit sich nicht besser beweisen kann, als in dem Willen aktiv daran mitzuarbeiten, dass die Pforte auch der heutigen Jugend eine alma mater bleibt, wie sie es uns wurde. Ich bin mir bewusst, dass es mir noch nicht gelungen ist, - diese Arbeit weist manche Spuren davon auf -, diese beiden Einstellungen der Pietät gegenüber der Vergangenheit und der prüfenden Kritik, die an Gegenwart und Zukunft denkt, miteinander in Einklang zu bringen.
Das kann nur allmählich in ruhiger Entwickelung geschehen. So trägt die Arbeit einen ganz persönlichen Charakter. Von da aus glaube ich es rechtfertigen zu können, dass ich die Pforte nur für sieh betrachte und ihre Einrichtungen bis ins einzelne verfolge, dabei aber auf den naheliegenden Vergleich mit anderen Schulen und Alumnaten und auf theoretische Begründung grösstenteils verzichte. - Die Eigenart der Pforte kann nur aus ihrer Geschichte verstanden werden. Deshalb kann eine Arbeit, die die Pförtner Erziehung in ihrer Besonderheit zu erfassen sucht, die Geschichte der Schule nicht ausseracht lassen. Ich muss also im Folgenden verschiedentlich auf die älteren Verhältnisse zurückgreifen.
In der Stiftungsurkunde von 1550 wird der neuen Schule von ihrem Gründer, Herzog Moritz von Sachsen. die Aufgabe gestellt, die Jugend „in rechter reiner christlicher Lehre und Religion und in den Sprachen und anderen freyen guten Künsten“ zu unterweisen, damit „in Gott gelehrte tugendhafte Männer, Kirchendiener und geschickte Regenten der Polizeyen" aufgezogen würden (Corssen S. 128). Es ist lehrreich, die neueste Formulierung des Bildungszieles, vom jetzigen Rektor verfasst, daneben zu stellen: „die Landesschule zur Pforte ist ein humanistisches Gymnasium besonderer Prägung ... ( Die Landesschule zur Pforte) trägt einen bewusst evangelischen Charakter." Beide Aeusserungen stimmen im Entscheidenden überein: die Grundlage der Pförtner Erziehung bilden evangelisches Christentum und Antike ("Sprachen" bezw "Humanismus"). Danach können wir einstweilen allgemein die Eigenart der Pforte so beschreiben:
Pforte ist evangelische Schule
Pforte ist humanistische Schule; und wir fügen gleich hinzu
Pforte ist Internatsanstalt.
Dass mit der doppelten Zielsetzung einer christlichen und einer humanistischen. Erziehung die Pförtner Erziehung unter eine grosse Spannung gestellt ist, eine Spannung, die besonders in den Zeiten fühlbar werden musste, wo die Antike als weltanschauliche Macht erkannt und zum Christentum in Gegensatz gestellt wurde - also in der Zeit Humanismus selbst, dann des Neuhumanismus und in der Gegenwart wo der Gedanke der humanistischen, auf die Antike gegründeten Erziehung zu neuem Leben erwacht ist und wo das Problem Idealismus und Christentum von beiden Lagern, dem idealistisch-humanistischen und dem christlich-theolologischen in seiner Tiefe erkannt und umkämpft wird, (sieh Anmerkung!) nur angedeutet werden.
Ist es doch eine Frage, die jedes Gymnasium, jede Schule angeht, wenn auch dieser Konflikt in der Pforte mehr als anderswo zutage tritt.
Anmerkung:
Das letzte Heft der Zeitschrift für Deutschkunde (1931 Heft 4) ist dieser Frage fast ausschliesslich gewidmet. Dort werden die wichtigsten Bücher zusammengestellt und gewürdigt. Der Gegensatz von Antike und Christentum ist von Seiten der Altertumswissenschaft, besonders von W.F. Otto, offen ausgesprochen worden: Die altgriechische Gottesidee, Weidmann, Bln., Die Antike und der christliche Geist, Cohen, Bonn., Die Götter Driechenlands, de Gruyter.
I. Pforte als evangelische Schule
Die Landesschule ist als evangelische Schule gegründet, ja sie sollte in erster Linie der Heranbildung der künftigen Theologen dienen. Deutlicher als die Stiftungsurkunde von 1550 zeigt das die Antwort der Sächsischen Stände auf die Vorlage, in der Herzog Moritz die Gründung der drei Fürstenschulen Pforte, Merseburg (jetzt Grimma), Meissen angeregt hatte: "damit man gotfürchtige, rechtschaffene und gelehrte Prediger, Pfarrer und Seelsorgere haben möge, welche aus waren Grunde göttlicher Schrifft die rechtschaffene christliche Lehre erhallten und vor Anfechtunge der irrigen Lehrer ... verteydingen, und unchristliche - Missbreuche vorkommen helffen mögen“ (Corssen 120 f.). Bei dieser Zielsetzung ist es natürlich, dass in der neuen Schule viele Züge des Klosterlebens beibehalten wurden: die einheitliche schwarze Tracht der Schüler, die sogen. Schalaune (die heute nur noch von den Lehrern bei festlichen Gelegenheiten getragen wird), die strenge Zucht, um nur einige zu nennen, und, was uns hier angeht: einzelne Formen des Kultus.
Ueber Zahl und Art gottesdienstlicher Handlungen gibt der, Bericht Kirchners über die Entwickelung der Schule von 1800 bis 1847, (a.a.O. S.59 f.) die beste Auskunft. Der kurfürstliche Kommissar Freiherr von Hohenthal fand bei seinem Besuch im Mai 1782 noch folgenden Zustand vor. Die Schüler mussten ausser den täglichen Morgen- und Abendandachten und ausser dem Predigtgottesdienst - am Sonntag (Vor- und Nachmittag!) noch eine tägliche Nachmittagsbetstunde in der Kirche besuchen, im Gottesdienst wurden noch lateinische Hymnen während des Mittag- und Abendessens wurde „aus der Bibel oder einem lateinischen Autor“ vorgelesen, die Tertianer mussten "auch die Leichen fremder Personen .... zu Grabe singen." Infolge des erwähnten Besuches des Freiherrn von Hohenthal wurde diese Sitte des „Leichenkonduktes“ abgeschafft das Vorlesen während der Mahlzeiten wurde aufgegeben, die Zahl der Betstunden auf wöchentlich zwei beschränkt. Anstelle der ausfallenden Betstunden trat aber die Erklärung der symbolischen Bücher, bezw. eine historische Einleitung in das Alte Testament, ...
Die Fortsetzung liegt bisher nur als Digitalisat vor.
Ueber Zahl und Art gottesdienstlicher Handlungen gibt der, Bericht Kirchners über die Entwickelung der Schule von 1800 bis 1847, (a.a.O. S.59 f.) die beste Auskunft. Der kurfürstliche Kommissar Freiherr von Hohenthal fand bei seinem Besuch im Mai 1782 noch folgenden Zustand vor. Die Schüler mussten ausser den täglichen Morgen- und Abendandachten und ausser dem Predigtgottesdienst - am Sonntag (Vor- und Nachmittag!) noch eine tägliche Nachmittagsbetstunde in der Kirche besuchen, im Gottesdienst wurden noch lateinische Hymnen während des Mittag- und Abendessens wurde „aus der Bibel oder einem lateinischen Autor“ vorgelesen, die Tertianer mussten "auch die Leichen fremder Personen .... zu Grabe singen." Infolge des erwähnten Besuches des Freiherrn von Hohenthal wurde diese Sitte des „Leichenkonduktes“ abgeschafft das Vorlesen während der Mahlzeiten wurde aufgegeben, die Zahl der Betstunden auf wöchentlich zwei beschränkt. Anstelle der ausfallenden Betstunden trat aber die Erklärung der symbolischen Bücher, bezw. eine historische Einleitung in das Alte Testament, ...
Die Fortsetzung liegt bisher nur als Digitalisat vor.
Abonnieren
Posts (Atom)